Donnerstag, 24. November 2016

Die Runenpriesterin

Es war an einem sehr kalten Abend. Das Schneetreiben hat zwar vorübergehend aufgehört, aber ein Wind fegte übers Land, durch den Fjordeingang herein und brachte beißende Kälte mit sich.
Aegir war den ganzen Tag über damit beschäftigt das Dach unseres Hauses zu reparieren, dass dritte Mal innerhalb dieses Mondes.
Nachdem die ganze Familie lange bei Tisch gesessen hat, machte er sich auf um trotz der Kälte nochmal gen Hafen zu gehen, um Ausschau nach Schiffen zu halten die vielleicht Nachrichten aus umliegenden Dörfern mit sich bringen.
Es erstaunte mich wie lange fort blieb. Das Erstaunen wich der Sorge und so warf ich mir meinen dicken Umhang über und trug Aedan auf auf seine Geschwister zu achten.
Wie so oft in letzter Zeit lösten solche Aufgaben keine Begeisterungsstürme bei dem jungen Mann aus. Ich kann es ihm auch nicht verdenken, denn die Einsamkeit in der wir zuweilen leben ist für jemanden seines Alters nicht das Wahre. Längst zieht es ihn hinaus, um sich zu beweisen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Der Weg Richtung Strand dauerte ums Doppelte länger als für gewöhnlich und gegen den Wind anzugehen war eine Herausforderung für sich. Ich konnte mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen was Aegir so lange aufhält, zumal es in den letzten Tagen rund um die Herberge sehr ruhig war.
Mein Erstaunen war entsprechend groß als ich zwischen den beiden Lagerhütten eine größere Ansammlung stehen sah. Es schien fast so als könne ihnen weder Wind noch Kälte etwas anhaben, es wurde heftig gestikuliert und diskutiert. Das Aufsehen der Männer hat wohl etwas im Halbdunkel liegendes erregt, sie vermuteten jemand habe ein Bündel Felle entwendet und es auf den Weg zum Schiff verloren, so dass es zurückblieb und ein einsames Dasein auf dem gefrorenen Strand fristete.
Es erstaunt mich manchmal wie wenig praktisch veranlagt so ein Mann sein kann, da ihnen bei all ihren Überlegungen nicht eingefallen ist die Felle einzusammeln und nach möglichen Spuren zu sehen. So schickte ich Carmen, die Sklavin meines Schwiegervaters Finn, los um die Felle zu holen, auf dass die Männer weitere Debatten im Warmen fortsetzen können.

Ein gellender Schrei ging durch die Nacht und erregte sofort unsere gesamte Aufmerksamkeit.
Carmen rief uns zu dass es sich um eine Leiche handelt, wenigstens ging sie davon aus der am Boden liegende Körper die letzte Reise angetreten hat.
Wir alle, die wir ihrem Ruf folgten, gingen im ersten Augenblick davon aus. Als die Männer den scheinbar leblosen Körper aus dem feuchten Umhang schälten kam der verunstaltete, regungslose Körper eines rothaarigen Weibes zum Vorschein. Carmen und ich erkennten die Rothaarige sofort, was man der Kleidung die sie trug zu verdanken hatte. Ihr Gesicht war völlig verunstaltet, als habe ein Berserker seine Wut an ihr ausgelassen. Es handelte sich um die Runenpriesterin, Sinead ihr Name, die ein paar Tage zu vor mit dem Elder Finn bei Tisch gesessen hat. Und obwohl ich sie nur kurz sah, erinnerte ich mich an ihre Kleidung und das auffallend schöne, rote Haar, dass in diesem Zustand, schmutzig und feucht in dicken Strähnen zusammenklebend, nichts von seiner Schönheit anmutete.
Ich brauchte mehr als einen Blick um festzustellen dass das arme Weib noch nicht tot war, sondern noch atmete, wenngleich ihre Atmung kaum wahrnehmbar war.
Sofort hebten die Männer die Priesterin hoch, ich eilte voraus in den Heilerturm um alles vorzubereiten. Es grenzte nahezu an ein Wunder dass sie noch lebte. Vielleicht hat das Weib es dem glimmenden Feuer zu verdanken, welches neben der Lagerhütte brannte, dort wo tagsüber ein paar Fische geräuchert wurden.

Nachdem die Männer mich mit der Priesterin alleine ließen, versuchte ich mir einen Überblick über ihre Verletzungen zu verschaffen. Es gab keine Stichwunden, keine Verletzungen die von einem Pfeil stammen könnten, dafür aber eine Vielzahl an Prellungen am Oberkörper, wie mir schien auch dass eine Rippe in Mitleidenschaft gezogen war. Ihr Gesicht schimmerte in allen Farben, die feinen Züge des Weibes, waren kaum noch erkennbar, so geschwollen war die Partie rund um Augen und Mund.
Abgesehen von möglichen inneren Verletzungen, befand ich was ich sah oberflächlich als nicht lebensbedrohlich. Wohl aber die starke Unterkühlung die bereits soweit fortgeschritten war, so dass ich wirklich Sorge hatte sie nicht mehr retten zu können.
Carmen, die man mir an die Seite gestellt hat um zu helfen, schickte ich fort um Felle und eine weitere Feuerschale zu holen. Alles Holz das gestapelt neben dem Kamin lag wurde ins Feuer geworfen bis der Raum von einer ungewöhnlichen Hitze erfüllt war. Wir wickelten das Weib in Felle, vorsichtig darauf bedacht ihre Gliedmaßen nicht zu bewegen, damit das kalte Blut nicht durch den Körper wandern kann.

Es wurde eine sehr lange Nacht für uns, in deren Verlauf wir immer wieder mal zu den Göttern sprachen um Beistand für die geschundene Priesterin zu erbitten.
Nach und nach taten die Felle, die Feuerschalen ihre Wirkung. Der Körper erwärmte langsam, so dass wir uns daran machten uns um die Verletzungen zu kümmern. Eine großzügige Menge an Heilerde, einer Mischung aus Kräutern und Schlamm, wurde auf dem Gesicht aufgetragen um die Schwellungen zurückgehen zu lassen. Der Körper der Priesterin regte sich langsam, sie wurde wach und versuchte zu sprechen, was ihr angesichts der Verletzungen im Gesicht nicht gelang.
Natürlich war ich darauf erpicht zu erfahren was geschehen ist. Doch werden da noch einge Tage vergehen ehe sie dazu bereit war sich mitzuteilen.
Für den Moment waren wir einfach nur froh dass sie lebte und über mehrere Tage hinweg kam ich fast nicht dazu den Heilerturm zu verlassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen